Auf dass uns vergeben würde – A.M.Homes
Das letzte Buch, das ich gelesen hab, ist ein sechhunderdreiundfünfzig-seitiger Roman der amerikanischen Schriftstellerin A.M.Homes. Während sie in der englischsprachigen Welt zu den ganz großen zählt, wurde sie, so scheint mir manchmal, vom deutschen Publikum noch gar nicht richtig entdeckt. Was für eine Katastrophe! A.M. Homes ist genial, und The Guardian schrieb völlig zu Recht über ihren letzten Roman: "Das ist der große amerikanische Roman unserer Zeit". Das ist ein ziemliches Lob, denn dieser sprichwörtliche 'great american novel' meint ja nichts weniger, als den größten und besten je geschriebenen Roman, der Amerika in seinem Wesen erfasst wie niemand sonst. Der Guardian reiht Homes damit in eine Reihe mit Melville, Hawthorne, Steinbeck, Fitzgerald, Dos Passos, Roth... Aber genug mit dem Literaturwissenschaftler-Gerede! Dieser Roman zieht mit einer Wucht in die Geschichte, als würde man beim Schwimmen von einer gigantischen Stromschnelle erwischt werden, die einen, egal ob man es will oder nicht, im Eiltempo den Fluß hinabzieht. Als ich den Roman begann, hatte ich eigentlich viel Arbeit zu erledigen, doch schon nach zehn Seiten konnte ich nicht mehr aufhören, sodass ich alles liegen und stehen ließ, diesen Wälzer in drei Tagen beendet hatte, und am Ende total traurig war, dass er schon aus ist. Diese Geschichte ist so klug, so mitreißend, so voller unerwarteter Wendungen, voll Tragik und Komik, dass man sie gar nicht nacherzählen kann. Vielleicht nur so viel: es geht um eine Familie, die zerbrechen muss, um zusammenzufinden. Um Menschen, die im Extremfall über sich hinauswachsen, um unsere Gesellschaft, wo eigentlich eh jeder irgendein Problem hat, und alles normal ist, außer normal zu sein.
Buskaschi oder Der Teppich meiner Mutter – Massum Faryar
Ich mach hier jetzt mal was ganz riskantes: ich empfehle ein Buch, das ich zwar noch nicht fertig gelesen habe, mich jedoch stark beeindruckt.
Dieser Roman ist brandneu, erst im Mai auf den Markt gekommen, besonders weit bin ich noch nicht, aber eines weiß ich schon: ich bin verzaubert.
Die Geschichte führt uns ganz tief ins Herz Afghanistans. Mit dichterischer Behutsamkeit, Finesse und einem wunderschönen Ton wird hier eine Geschichte, eine Kultur, eine Welt erzählt, zu der man sonst nie Zutritt hätte. Ich fühle mich beim Lesen, als ob der Autor mich an einen geheimen Ort gebracht hätte, um mir seine Geheimnisse zu erzählen. Ich bin gefesselt, ich bin berührt, aber vor allem bin ich beeindruckt, mit welch Kunstfertigkeit Massum Faryar die großen orientalischen Erzähltraditionen mit europäischen Ansätzen zu einem Meisterwerk verwebt.
Nicht nur, weil dieser Roman wunderschön ist, möchte ich ihn empfehlen, sondern auch, weil er ein Thema behandelt, von dem wir ständig hören, das uns alle sehr betrifft, über das wir aber eigentlich wenig wissen: Afghanistan.
Manchmal vermögen Romane etwas ganz besonderes: sie nehmen einen wie ein Reiseführer an die Hand, führen weg aus der unmittelbaren Gegenwart hinein in eine Welt, zu der wir sonst nie Zutritt hätten. Und allein deshalb muss man diesen Roman lesen. Schneller kommen Sie wahrscheinlich nicht ins wundersame Afghanistan...
Vea Kaiser wurde 1988 geboren und lebt in Wien. 2012 veröffentlichte sie ihren ersten Roman Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam, … weiterlesen
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